Mesum vor 500 Jahren

Mesum bekommt 1513 die ersten Glocken

Die Geschichte der Mesumer Glocken ist ebenso kurzweilig wie spektakulär und reicht, das soll der erste Beitrag der „Sommergeschichten 2013“ unterstreichen, bis an die Zeitgrenze zum Mittelalter. Es geht dabei in das Mesum vor genau 500 Jahren zurück. Um das zu illustrieren, ist zunächst ein kleiner Blick in die Gemeinde im Jahre 1513 notwendig. Wie sah das kleine Dorf vor fünf Jahrhunderten aus?

Mesum um 1513

Einem Besucher aus Richtung Landeshauptstadt Münster wäre damals bei der Anreise zunächst rechts des Sandweges im Süden von Mesum der kleine Höfetrupp Aldedorpe (Albrock) mit den Hofanlagen Johanninck (heute Fromme), Herderkinck (Gehring), Schür hues (Schürmann), Eßkinck hof, de Stecker (später Stecker-Schürmann) und Koninges hues (König) begegnet. Von dort konnte er vorbei am Wald rund um den Schultenhof direkt auf die kleine gotische Pfarrkirche sehen, umgeben vom Kirchhof mit den Gräbern.

Das Gotteshaus war erst wenige Jahre zuvor um 1500 großzügig erweitert worden, weil die Einwohnerzahl seit dem Kirchneubau um 1350 stark angestiegen war. Ein Joch und ein massiver Turm wurden dabei 1500 an der westlichen Giebelseite angefügt. Das bedeutete, rechnet man noch die Sakristei an der Nordwand hinzu, eine Erweiterung um nahezu die Hälfte der bisherigen Grundfläche.

Damals mögen 150, vielleicht ein paar mehr Einwohner in Mesum gelebt haben: 19 Bauernfamilien mit Gesinde in den neben dem Albrock noch weiteren drei Bauerschaften: Norperhock im Osten (entlang der Feuerstiege), Clancdorpe (im Norden) und Haswede (im Westen). Hinzu kamen sieben Siedler, die namentlich überliefert sind und die in der feuchten Niederung, dem jetzigen Dorfzentrum, und meist entlang des alten Fernhandelsweges (heute Rheiner Straße) wohnten. Vier davon werden als „Brinksitter“ bezeichnet. Damit meinte man bescheidene Hausstätten mit etwas Garten, aber ohne Ackerland, deren Besitzer ihre Familien von Nebenerwerben und Tagelohnarbeit ernähren mussten. Man nannte sie zuweilen wegen ihres ärmlichen Besitzstandes auch „Ziegenkötter“. Hinzu kam noch der Pfarrer, der den „Wedemhove“ bewirtschaftete. Seinen Namen kennen wir nicht, denn das Pastorenverzeichnis beginnt erst mit Johann Kerstiens, der seit 1561 Pfarrer in Mesum war.

Im Mittelpunkt des Dorfes und zweifellos auch im Interesse der Mesumer stand zu der Zeit sicherlich die imposante Erweiterung der Kirche. Die Bauleute waren inzwischen abgezogen. Was in dem mächtigen Turmneubau jetzt noch fehlte, war das passende Geläute. Sicherlich existierte schon vorher eine kleine Glocke, die zum Gottesdienst einlud und Feste einläutete. Aber man besaß nun genügend Platz für zwei neue größere Glocken.

Der Glockengießer Westerhues

Damals war es üblich, dass die Gemeindevertreter vor dem Glockenkauf zu einer Kirche reisten, für die unlängst ein neues Geläute angefertigt wurde, um das Werk des Glockengießers zu begutachten. Der bekannteste und berühmteste Glockengießer um 1500 war „Klockgeyter Wolter“. Für ihn sind weitere Namen bekannt, von denen Wolter Westerhues die meist genannte Version ist. Karl-Heinz Kirchhoff nennt in seinem Beitrag „Wolter Westerhues, ein Glockengießer in Westfalen“ (Westfälische Zeitschrift, Band 129, 1979) noch „Meister Wolter Clockgeiter“ und „Meister Wolter Klockgeiter“.

Wolter Westerhues (1470-1548) aus Münster hatte seine Handwerkskunst beim niederländischen Glockengießermeister Gerhard von Wou erlernt. Jener überließ ihm anschließend, so vermutet Kirchhoff, ab Ende des 15. Jahrhunderts mit Westfalen einen Teil seines bisherigen Arbeitsgebietes. Denn ab 1499 sind hier und im angrenzenden Niedersachsen in den Gemeinden nur noch Glockenarbeiten von Westerhues bekannt: 1499 in Burgsteinfurt, 1502 in Schüttorf, 1503 in Albersloh, um nur einige zu nennen.

Seine Arbeiten waren mithin auch den Mesumern gut bekannt. So mussten jene nur in die nähere Nachbarschaft fahren, wo er Glocken gefertigt hatte : 1507 nach Borghorst oder 1512 nach Handorf. Auf jeden Fall wurden sie mit Meister Wolter über Kosten und Arbeitsumfang handelseinig. Überliefert über eine Auftragsvergabe ist aus Burgsteinfurt, dass man ihm 1499 als Material die alten Glocken überließ, um Geld zu sparen. Möglicherweise hielten es die Mesumer knapp eineinhalb Jahrzehnt damals ähnlich.

Glockenguss in Mesum

Westerhues besaß, so schreibt Kirchhoff, an seiner Wohnung in Münster keine größere Werkstatt. Das bedeutete, dass wiederholt die Auftraggeber an Ort und Stelle einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen mussten. Das wiederum deckt sich mit einer alten Überlieferung zum Glockenguss in Mesum. Aufgezeichnet wurde sie in der „Festschrift zur Fahnenweihe am Sonntag, dem 26. Mai 1929“: „Im Jahre 1513 ließ sich die Gemeinde Mesum von dem damals berühmten Meister Wolter Westerhus aus Münster zwei neue Glocken gießen, von denen die eine einen Durchmesser von 1,18 Meter, die andere einen Durchmesser von 1,04 Meter hatte. Der Sage nach sind die Glocken in ‚Schulten Wiese‘ gegossen worden.“ Als Autor darf der Heimatschriftsteller Josef Kamp angesehen werden.

Nun benötigt man nur ein wenig Fantasie, um sich den Glockenguss vorzustellen. Mit „Schulten Wiese“ war noch bis weit ins 20. Jahrhundert eine große Wiese entlang der Straße nach Elte bezeichnet, die in den 1970er Jahren in ein großes Baugebiet umgewandelt wurde. Der Meister rückte mit seinen Gehilfen im Dorf an und bekam nahe der Kirche und vom Schultenhof diesen Platz für seine Arbeit zugewiesen. Dort konnte er seinen Schmelzofen aufbauen und die Gruben für die Glockenformen anlegen. Nach dem Erkalten des Bronzematerials ersparte man sich so einen langen und gefahrvoll-mühseligen Transport der neuen Glocken.

Dass im Jahre 1513 zwei Glocken für die Kirche in Mesum von Wolter Westerhues gefertigt wurden, belegt auch das Werkverzeichnis als Anlage zur Arbeit von Kirchhoff, in dem alle „Glocken von Wolter Westerhues 1497-1541“ aufgeführt sind. Auch Ludendorff bestätigt in seinem Werk „Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Westfalen“ (Münster 1893) den Glockenguss 1513 für die Mesumer Kirche.

Das Ende der ersten Glocken

An welchem Tag die Glocken dann zum ersten Mal ertönten, ist nicht überliefert. Es dürfte ein Freudentag für alle Mesumer gewesen sein, wie wir von ähnlichen Ereignissen einige Jahrhunderte später wissen. Denn die ersten Glocken, zu denen sich später noch eine dritte gesellte, erlitten 1888 ein schweres Unglück. Als nämlich der Turm abgebrochen wurde, um Baumaterial für die Fundamente der neuen Kirche zu bekommen, kamen die Glocken in einen hölzernen Glockenschuppen nahe der alten Kirche. Der Schuppen war so eng, dass die Glocken beim Läuten die Dachbalken berührten, so dass zwei von ihnen einen Riss bekamen und fortan nur noch arg verstimmt erklangen.

Darum entschied man sich 1909 für den Kauf von neuen Glocken, die am 24. Juli 1910 erstmals feierlich ertönten. Im 1. Weltkrieg wurden sie allerdings eingezogen. Am 23. November 1919 freute sich die Gemeinde über ihr inzwischen drittes neues Geläute. Das hielt jedoch nur bis 1942, als die Wehrmacht wiederum drei Bronzeglocken für die Kriegswirtschaft abnehmen ließ. Über die folgende Neuanschaffung schreibt der damalige Pfarrer Franz Bakenecker in seinen Erinnerungen: „Das Weihnachtsfest 1948 wird die jetzige Generation nicht vergessen: Es läuteten wieder vier Glocken.“ (zitiert nach: Rheine-gestern, heute, morgen, Heft 1/90, 25. Ausgabe)

Der Hintergrund für die Glockensage

In dem Werkverzeichnis der Glocken von Kirchhoff ist auch vermerkt, dass Rheine im Jahre 1520 und damit sieben Jahre später als die kleine Nachbargemeinde Mesum ebenfalls zwei Glocken von Wolter Westerhues gießen ließ. Diese historische Tatsache liefert den Hintergrund für die alte „Sage vom Glockendiebstahl“, die auch in der „Festschrift zur Fahnenweihe von 1929“ erzählt wird: „Als vor vielen Jahren in Rheine das alte Pfarrkirchlein zu klein geworden war, baute man eine neue Kirche. Der Bau verschlang aber so viel Geld, dass es zum Kauf der Glocken nicht mehr reichte. In Mesum aber hatte man von einem berühmten Meister schöne neue Glocken bekommen. Also machten sich bei Nacht und Nebel einige Rheiner Bürger auf den Weg und stahlen die Glocken aus dem Turme. Nun hatte Rheine ein schönes Geläut. Aber das dicke Ende kam hinterher, denn die Mesumer waren auch nicht so ohne. Sie beschwerten sich beim Fürstbischof, und dieser ordnete sogleich die Rückgabe an. Zur Strafe mussten die Rheinenser so viel Kupfergeld zahlen, als die gestohlenen Glocken fassen konnten.“

Der Autor, vermutlich der Heimatschriftsteller Josef Kamp, fügt 1929 an: „Die Entstehung der Sage dürfte darin zu suchen sein, dass die Mutterpfarre Rheine um dieselbe Zeit ebenfalls für die soeben vollendete Dionysius-Pfarrkirche (um 1500) ein Geläut anschaffen musste. Die viel jüngere Tochterpfarre Mesum war nun den Rheinensern zuvorgekommen und erregte dadurch bei ihnen Neid und Missgunst, und in solchen Fällen ist dann der Schalk im Volke ja gleich bei der Hand.“

Bildvorschläge: Greiwe

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Als vor ein paar Jahren die alte Kirche restauriert wurde, entdeckte man die alten Grundmauern des 1888 abgebrochenen Turmes

Modell 1973

Für den historischen Festzug 1973 aus Anlass der 600-Jahr-Feier der Gemeinde rekonstruierten die Dorfschützen die alte Kirche samt Turm

Modell 1990

1990 bauten Schüler und Lehrer der Don-Bosco-Schule ein Kleinmodell der alten Kirche, das einen Blick ins Innere des Turmes mit den Glocken ermöglicht

Rekonstruktion

Rudolf Breuing erstellte 1973 eine Rekonstruktionszeichnung der alten Kirche, wie sie um 1500 nach der Erweiterung aussah

Turmrest um  1890

Zu spät wurde der Abbruch des Turmes um 1888 gestoppt, so dass nur ein Rest übrig blieb (Foto: Bau- und Kunstdenkmäler im Kreis Steinfurt, Tafel 54)

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Die vier Bauerschaften mit den 19 Höfen und den Dorfsiedlern mittendrin