Eggert und Kettelhack gründen die zweite Textilfabrik in Mesum
Mit Wilhelm Gröning kam 1871 die Textilindustrie nach Mesum. Damit begann im 19. Jahrhundert der Aufstieg des kleinen Ackerdörfchens zu einer prosperierenden Industriegemeinde. Denn Gröning fand als Industriepionier alsbald Nachahmer und wagemutige Kaufleute, die ähnlich dachten und handelten wie er. Von drei Männern wird dabei in dieser zweiten Sommergeschichte die Rede sein, die sich um gleiche Zeit trafen, eine ganz ähnliche Idee verfolgten und eine Textilfabrik gründeten: Clemens Eggert mit Heinrich und Eduard Kettelhack.
Die Faktorei Eggert
Die spätere Fabrikantenfamilie Eggert stammte ursprünglich vom Hof Eggert in der uralten Bauerschaft Haswede, die dort seit dem Mittelalter als „Eggerdes hues“ nachweisbar ist. Gerhard Eggert, der Vater von Clemens, heiratete sich 1851 im Alter von 30 Jahren, so fand Familienforscher Walter Rauß heraus, auf dem Kotten Wilp ein. Diese kleine Hofstätte mit der Hausnummer Dorf 59 lag etwas außerhalb im heutigen Ortsteil Feld. Der Bau der Eisenbahnlinie und des Bahnhofes schnitt sie 1856 vom eigentlichen Dorfkern ab. Gerhard Eggert war, wie damals nahezu alle Mesumer, von Beruf Kötter, Ackerer und Hausweber.
Üblicherweise gleich tat es ihm sein Sohn Clemens, am 1. Juni 1852 geboren, zunächst als junger Mann nach. Doch er beließ es nicht lange bei diesen überlieferten Tätigkeiten. 1875 traf er mit Heinrich Kettelhack zusammen. Jener hatte ein Jahr zuvor in Wettringen eine Handweberei mit Leinen- und Jutehandel gegründet, berichtet Wilhelm Brockpähler in seinem Buch „Wettringen“. Dazu erwarb er dort einige Fabrikgebäude. Als dann verstärkt sein Neffe Eduard ins Geschäft einstieg, entwickelte sich das Unternehmen rasch. Dazu gehörte, dass er Faktoreien in Laer und in Mesum errichtete.
Darunter verstand man die Niederlassung eines Handelsunternehmens, dem ein Faktor (auch Faktorist genannt) als Geschäftsführer und Vertreter vorstand und der zwischen dem Arbeitgeber (Leinenhändler) und dessen Arbeitern (Hauswebern) vermittelte, Aufträge erteilte, Abrechnungen erstellte und Material lagerte und ausgab. Das bedeutete für den Faktoristen Clemens Eggert: Er stellte auf seinem Hof die notwendigen Räumlichkeiten als Lager für Garne, die er von Kettelhack bezog, lieferte sie an Hausweber aus, rechnete mit ihnen ab und holte das fertige Gewebe ab. Dafür besaß er einen großen Planwagen, mit dem er die Waren nach Wettringen, zu anderen Kunden und Faktoreien oder zur Bahn zum Weiterversand transportierte. „Aus Werg-, Heden- und Jutegarnen wurde besonders in Mesum Packleinen, Sack- und Strohsackleinen gearbeitet, das im Betrieb in Wettringen noch mit der Handmangel ‚ausgerüstet‘ wurde,“ beschreibt Schröder (Seite 348). Faktoristen, die ähnlich tätig waren und die Handelsbeziehungen zu Holland unterhielten, sind noch weitere wie Plagge, Schräder, Veltmann und Terheyden aus Mesum bekannt. Sie sind für ihre Lieferungen von Segeltuch bekannt. Feineres Leinengewebe für Kleidung, Haus-, Tisch- und Bettwäsche kam überwiegend aus dem südlichen Münsterland.
1888: Firmengründung vor 125 Jahren
Eduard Kettelhack erkannte nach dem Tod seines Onkels die Zeichen der Zeit: Überall entstanden Fabriken mit hochleistungsfähigen Textilmaschinen, die das Ende der unrentabel gewordenen Handweberei bedeuteten. Er verlegte im Jahre 1882 die Firma mit ihrem Sitz wegen der günstigeren Verkehrslage nach Rheine, wo er eine mechanische Weberei errichtete. Diesem Werk wurden auch eine Bleicherei, Färberei, Ausrüstung und Näherei angegliedert.
Aber die Zusammenarbeit mit Eggert blieb und wurde noch enger. Beide beschlossen die Gründung einer gemeinsamen Textilfabrik. Dabei brachte vermutlich Kettelhack das Wissen und Kapital ein, während Eggert Grundstück und Räumlichkeiten auf seinem Bauernhof stellte.
Direkt angebaut an seiner Fachwerkscheune mit hohem Satteldach entstand das Fabrikgebäude, errichtet als eingeschossiger Bau mit dem typischen Sheddach („Sägedach“), wie ein altes Fotos ausweist, das um 1900 entstand. Fünf Sheds und ein Anbau mit einem Pultdach sind darauf zu erkennen. Zwischen Scheune und querstehendem Bauernhaus erhebt sich der hohe Schornstein mit dem vorgelagerten Kessel- und Maschinenhaus. Die neue Fabrik nahm 1888 ihre Arbeit mit 25 Webstühlen auf.
Umtriebiger Kaufmann
Bemerkenswert ist das Hofgebäude Eggert. Der Stall- und Wirtschaftsteil mit breitem Satteldach weist im vorderen Giebel die übliche doppelflügelige Tennentür auf. Oben in der Giebelspitze kragt weit ein mächtiger Balken heraus, an dem ein Aufzug befestigt ist. Eine gleiche Hebevorrichtung gibt es auch im Scheunengiebel. Beides ist ein Hinweis darauf, dass hier früher Material wie Garne und Gewebe aus der Zeit der Faktorei gelagert werden konnte. Rechtwinklig ist der lange Wohnteil angefügt, dessen Front zur Straßenseite durch sechs gleiche, kleinteilig gestaltete Fenster harmonisch gegliedert ist.
Etwas außermittig liegt die Haustür, oben und seitlich mit Schrifttafeln versehen. Diese weisen den Fabrik-, Haus- und Hofbesitzer als einen umtriebigen und innovativen Kaufmann aus. Über dem Oberlicht ist groß zu lesen: „Clemens Eggert Colonialwaarenhandlung“. 1905 taucht er als einer von elf „Kolonial- und Materialwarenhandlungen“ in Mesum auf. Neben der Tür befinden sich drei emaillierte Schilder. Demnach betrieb er drei Agenturen, u.a. die der „Vaterländischen Feuer-Versicherungs-Gesellschaft Elberfeld“.
Fabrik und Geschäfte machten ihn zu einem wohlhabenden und angesehenen Bürger und galt in Mesum als respektierte Person. Er gehörte 1884 zu den Mitbegründern und ersten Mitgliedern des „Mesumer Spar- und Kreditvereins“, aus dem die Spar- und Darlehnskasse und dann später die Volksbank wurde. Als für die Kasse 1889 laut neuem Genossenschaftsgesetz ein Aufsichtsrat gebildet werden musste, übertrug man ihm hier bis 1895 den Vorsitz.
Aktiv war Clemens Eggert auch im „Handwerker-Verein Mesum“, wie eine Mitgliederliste von 1882 beweist. Die Mesumer Handwerker beantragten damals die Gründung einer „Handwerker-Sonntagsschule“. Ihr Ziel und Aufgabe waren die Aus- und Weiterbildung junger Handwerker. Sie wurde Anfang 1883 als „Fortbildungsschule“ genehmigt und konnte ihre Arbeit aufnehmen. Auch hier arbeitete Clemens Eggert einige Jahre im Schulvorstand führend mit.
Um 1904 ließ er an der Bahnhofstraße ein stattliches Wohnhaus errichten, in dem einige Zeit sein Betriebsleiter lebte. Später kaufte zu Beginn der 1930er Jahre Anton Hoof, Webmeister bei Eggert&Dupree, das Gebäude für seine Tochter Josepha und deren Ehemann Ludwig Stienemann. Auffällig an der repräsentativ gestalteten Hausfront war die harmonisch gegliederte Traufseite mit den vier gleichen Fenstern, zweiflügelig mit kleinteilig gesprossten Oberlichtern, und dem mittig liegenden markanten Quergiebel. Bemerkenswert war ferner der feine Kontrast zwischen den feinen weißen Stuckdekorationen in den Fenster- und Türgewänden und Ecklisenen und dem roten Klinker im Mauerwerk.
Eggert und Kettelhack vor 100 Jahren
Die Entwicklung der jungen Textilfabrik nach 1888 und die Zusammenarbeit mit Kettelhack sollen hier zunächst in wenigen Sätzen zusammengefasst werden. Nach 24 Jahren knirschte es im Verhältnis der beiden Kaufleute und Partner, so dass es zur Trennung kam. Kettelhack erwarb auf der gegenüber liegenden Bahnseite ein großes Grundstück vom Kötter und Weber Clemens Gronotte und blieb damit in der verkehrsgünstigen Nähe zum Bahnhof. 1912 begann er dort mit dem Neubau eines eigenen Werkes, Eggert suchte sich einen neuen Partner.
Kettelhack vor 100 Jahren
Vor 100 Jahren eröffnete Kettelhack 1913 an der damals noch Grevener Straße genannten, heutigen Industriestraße sein neues Werk. Es war eine der ersten Textilfirmen im Münsterland, in der ganz moderne Maschinen mit elektrischem Einzelantrieb aufgestellt wurden und die nicht mehr eine zentrale Transmission als Kraftleitungs- und Verteilungsanlage mit vielen Wellen, Lagern, Kupplungen, Seil- und Riemscheiben, Zahnrädern, Schmiervorrichtungen, Flach- und Keilriemen benötigte. Damit lieferte Kettelhack gleichzeitig wichtige Impulse zum Start und Aufbau der Elektrifizierung des Dorfes Mesum und zur Einrichtung eines Gemeindewerkes im Ort zur Versorgung mit Strom.
Einige Jahre verarbeitete Kettelhack nach wie vor Leinen und stellte dann 1919 auf Juteverarbeitung um. 1925 baute er eine Jutespinnerei mit 1000 Spindeln an und erwarb 1929/30 die Textilmaschinen von der Firma Schürmann & Holländer, die in Konkurs geraten war. Trotz der Wirtschaftskrise in Deutschland lief 1931 das Werk mit 400 Arbeitern auf Vollbetrieb. Nachdem 1947 die schweren Kriegsschäden behoben waren, konnte die volle Produktion wieder aufgenommen werden, so dass um 1953 520 Mitarbeiter beschäftigt werden konnten. Kettelhack war über Jahrzehnte nicht nur die größte Textilfabrik, sondern auch der größte Arbeitgeber in Mesum. Bei Kettelhack waren die Arbeitsplätze begehrt, ganze Generationen von Jungen und Mädchen traten hier gleich nach ihrer Schulentlassung ein.
Im Juli 1955 kam es zu einer wichtigen Änderung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse, verbunden mit der Trennung in zwei selbständige Unternehmen: Es gab fortan die Heinrich Kettelhack KG Mesum mit der Juteverarbeitung unter der Leitung des Besitzers Carl Eduard Kettelhack und daneben die Firma Heinrich Kettelhack, Rheine, mit den Eigentümern Hermann und Rudolf Kettelhack. Mitte 1974 schloss das Werk Kettelhack in Mesum seine Tore und einige Nachfolgeunternehmen nutzten fortan die Gebäude.
Eggert mit neuem Partner
Eggert suchte vor 100 Jahren einen neuen Geschäftspartner und fand 1913 in dem Juristen Dupree aus Burgsteinfurt, mit dem er die Textilfabrik als „Eggert&Dupree“ bis 1925 weiterführte. Danach übernahm die Firma Schilgen&Werth aus Emsdetten die Fabrik, die dann nach fünf Jahren an die Firma Blomberg aus Greven überging und noch ausgebaut wurde, so dass dort zeitweise 80 und mehr Arbeitskräfte in der Juteweberei beschäftigt waren und zwei Filialwerke an der Industriestraße (Alt-Gebäude von Gebr. Schönthal und Menzel) betrieben wurden. 1986 zog das Unternehmen ins Gewerbegebiet Mesum-West um, so dass das ursprüngliche Werksgelände frei geräumt und 1992 nach dem endgültigen Firmenende mit Abbruch der alten Gebäude zum heutigen Wohngebiet umfunktioniert werden konnte.
Bilder/Repros: Greiwe
Das Foto, das um 1900 entstand, zeigt links das 1999 errichtete Fabrikgebäude, Schornstein mit Maschinenhaus und das alte Bauernhaus
Die beiden Männer aus der Familie Eggert dem Haupteingang zur „Colonial-Waarenhandlung“
Das Haus Eggert an der Alten Bahnhofstraße mit seiner ursprünglichen Fassade (Aufnahme: Karl-Ludwig Stienemann)
Die Luftaufnahme zeigt das Werk Blomberg nahe der Bahnlinie
Der Schornstein fiel bei den Abbrucharbeiten 1992 per Sprengung als letztes
Im Orignial früher besser zu erkennen: Über „Mech. Juteweberei“ war lange der Abdruck von „Eggert=Dupree“ zu lesen
Das Werk Blomberg einige Jahre vor dem Abriss 1986
Das um 1913 eröffnete neue Textilwerk Kettelhack auf der östlichen Bahnseite