Pilgerreise bis ans Ende der Welt: Bernhard und Maria Behnen fünf Wochen auf dem Jakobsweg

Wer sich zu Fuß auf eine fünf Wochen lange, strapazenreiche Pilgerreise über 900 Kilometer nach Santiago de Compostela und darüber noch hinaus bis ans Ende der Welt im fernen Nordspanien begibt, der muss schon von einer tiefen Sehnsucht, viel Gottvertrauen und starkem Willen geleitet worden sein. „Ich hab mir schon immer fest vorgenommen: Bevor du 60 Jahre alt wirst, pilgerst du einmal den Jakobusweg!“ Dieses Vorhaben ließ den Mesumer Bernhard Behnen sein Leben lang nicht mehr los.

Jetzt im Sommer machte er sich auf diese Pilgerfahrt und damit auf den legendären „Camino de Santiago“, den schon vor ihm Millionen Pilger seit dem Mittelalter gingen. Begleitet wurde er von seiner Frau Maria, nur vier Wochen vor seinem 60. Geburtstag. Start war für beide mit dem Flugzeug nach Bilbao am 26. Juli. Einen Tag später begannen sie in Irun auf der Nordtour ihre Wallfahrt, um als erstes Etappenziel San Sebastian zu erreichen. Tagelang ging es dann zunächst quer durch und strapaziös hochalpin über die Pyrenäen, ehe sie in Santo Domingo de la Calzada auf die bekannte Hauptstrecke, den „französischen Pilgerweg“, trafen.

Auf dieser „Pilger-Autobahn“, so Bernhard Behnen, „wimmelt es zu dieser Hauptwallfahrtsaison nur so von Pilgern“. Das führte dann dazu, dass die Pilgerherbergen an der gesamten Strecke immer überfüllt waren. So konnte es geschehen, dass man kein freies Bett mehr bekam, sondern mit einem Schlafplatz auf dem Boden für die Iso-Matte vorliebnehmen musste: „Aufnahme fand aber immer jeder!“ Und wenn man dazu auch mal in eine Turnhalle oder auf einen Bauernhof geschickt wurde.

Die Herbergen waren zuweilen sehr schlicht, in der Regel mit ganz wenig Komfort: „Aber als Pilger ist man nicht auf einer Luxusreise. Da stellt niemand besondere Ansprüche.“ Es sei denn, man sei Hape Kerkeling, zeigten die Behnens im Nachhinein keinerlei Verständnis für Hapes Pilgerverhalten, das jener ausführlich in seinem Buch beschreibt. Viel wichtiger seien ihnen dagegen die freundschaftlichen Kontakte, die vielen Gespräche und herzlichen Begegnungen mit den Pilgern aus aller Herren Länder gewesen hin: „Wunderbar war unterwegs immer das Gemeinschaftsgefühl, das Treffen mit gleichgesinnten Menschen, das Reden miteinander und das Teilen des Wenigen, das jeder hatte.“

Die Kommunikation untereinander und mit den Leuten am Weg gelang immer „ausgezeichnet mit Händen und Füßen. Fünf Wörter Englisch und Spanisch reichten für den täglichen Bedarf. Die Verständigung klappte immer irgendwie völlig unproblematisch.“ So sei es hin und wieder gelungen, wenn die Herberge eine Kochgelegenheit besaß, sich selbst und für Mitpilger ein „Festmenu aus Pfannkuchen, Salat, Nudeln, Tomaten und was wir sonst noch in den kleinen Läden unterwegs kaufen konnten“, zu kochen.

Auf dem langen Pilgerweg wechselten dürre, einsame Landstriche, tageweite Getreidefelder, hügelige Pisten und kleine, verlassene Dörfer mit wunderschönen Landschaften, alten Wäldern und mittelalterlichen Städten mit ihren prächtigen historischen Ortskernen und herrlichen Kathedralen wie Burgos und Leon ab. Im Laufe der Zeit werde der Pilger, so die Erfahrung der beiden, „immer mehr eins mit dem Weg und seinen Gedanken. Du bist mit dir und der Welt im Reinen. Der Weg wird immer mehr zum Ziel der Pilgerreise.“

Darum spüre der Pilger seine oft schmerzenden Füße, die Mühen und Strapazen auch nicht mehr. Die Behnens blieben allerdings während der gesamten fünf Wochen von Blasen an den Füßen völlig verschont. Sie erlebten aber immer wieder mit, wie sich andere Pilger die Füße wund liefen. Das lag mitunter am sonnig-heißen Wetter, wenn die Temperaturen deutlich über 30 Grad kletterten. Nur zweimal gab es kurze, kühlende Regenschauer.

Kommen da unterwegs auch mal Gedanken ans Aufhören? Nur ganz am Anfang in den Pyrenäen auf steinigen Pfaden durch Dornenbüsche, vor allem nach einem langen beschwerlichen, steilen Irrweg mit zusätzlichen Kilometern und dem noch ungewohnten Rucksack auf dem Rücken, da habe es schon mal den Gedanken gegeben: Warum tu ich mir das an? Aber nie ernsthaft mit dem Ziel der Aufgabe, versicherten beide unisono. Dazu sei das Erlebnis der gemeinsamen Pilgerreise, das vertraute, enge Miteinander-Unterwegssein über Wochen, eine viel zu tief gehende, wertvolle und zugleich wunderbare Erfahrung gewesen.

Was war so alles im Rucksack? Heute können beide allen Nachahmern ihrer Pilgerreise nur empfehlen, sich wie sie gründlich vorzubereiten: Guten Reiseführer kaufen, im Internet nach Herbergen erkundigen, am besten erfahrene Pilger befragen. Ein Tipp von ihnen schon vorweg: Günstig ist ein Wallfahrtstermin außerhalb der Hauptsaison und damit nicht im Juli/ August. Vor allem dürfe man beim Packen nicht fragen: Was nehme ich mit? Sondern: Was lass ich alles weg?

Ein Schlafsack, Badelatschen, Unterwäsche zum Wechseln, zwei Paar Socken, Mittel zum Wäschewaschen und zur täglichen Hygiene, etwas zum Essen. Und natürlich Trinkwasser, wenn es auch immer den größten, aber unverzichtbaren Ballast ausmachte. Eine Blechtasse zum Essen der Suppe ebenso wie für den Schluck Rotwein am Abend. Das war’s dann schon: „Der Verzicht auf alles Weitere ist uns leicht gefallen. Wir haben unterwegs nichts vermisst.“ So kamen die Rucksäcke auf ein Gewicht von je 10 bis 12 Kilogramm: „Daran gewöhnt man sich dann bald.“

Nicht fehlen durfte der Pilgerstab. Den konnte man kaufen. Aber Behnens schnitten ihn sich gleich zu Beginn selbst aus Bambus: Hart, fest, vor allem leicht und in der richtigen Länge. Das heißt, er musste über das Pilgerhaupt hinausragen. Dieser ungewöhnliche Stab, den sie wie alle Pilger jedes Mal bei ihrer Einkehr in einer Herberge mit dem Rucksack abstellten, wurde für die Behnens im Lauf ihrer Pilgertour für die Mitreisenden zu einem unverwechselbaren Erkennungszeichen. Diesen Stab nahm Bernhard Behnen als Andenken auf der Rückreise im Flugzeug mit nach Haus.

Dank der Markierung durch farbige Pfeile und Zeichen in Muschelform und der Reiseführerbeschreibung war der gesamte Pilgerweg, bis auf kleine Verzweigungen, gut zu finden. So kamen die Behnens insgesamt eine ganze Woche früher als geplant am Ziel in Santiago de Compostela an. Nach genau vier Wochen und 800 Kilometern Weg zogen sie am 27. August in die Kathedrale ein. Der erste enttäuschende Eindruck: Eine laute Kirche, hektisches Treiben, viele Menschen und weniger das große, emotionale Erlebnis und Empfinden, endlich am ersehnten Ziel einer langen Pilgerfahrt angelangt zu sein.

Das stellte sich erst ein, als beide etwas später ihre Urkunde in lateinischer Sprache bekamen, die sie für alle Zeiten als echte Jakobspilger ausweisen. Jene bekommen nur Pilger, die unterwegs in den autorisierten Herbergen am Wegesrand regelmäßig ihre Stempel im Pilgerpass sammelten, um ihren Weg lückenlos dokumentieren zu können. Erst jetzt war damit amtlich das Ziel erreicht.

Aber noch nicht das Ende der gesamten Reise. Denn Maria und Bernhard Behnen hatten sich vorgenommen, auch noch das allerletzte Stück zu gemeinsam schaffen: Die Strecke über Santiago hinaus nach Westen zum legendären Kilometerstein mit der Inschrift „0,0 km“ am Anfang des Gesamtweges. Nach einem Tag Ruhepause machten sie sich dazu am 29. August auf, um drei Tage lang zum Kap Finisterra zu wandern, dem – so übersetzt ins Deutsche – „Ende der Welt“. Nach weiteren 100 Kilometern Fußmarsch standen sie dann am westlichsten Punkt der im Mittelalter bekannten Welt, einem Felsvorsprung im Meer, bekannt für seine wunderschönen Sonnenuntergänge. An diesem 0,0-Punkt verbrennen traditionsgemäß die Pilger endgültig ihre Wanderschuhe, die sie nun an ihrem ewigen Ziel nicht mehr benötigen. Bernhard und Maria Behnen wollten allerdings auf ihr treues Schuhwerk nicht verzichten, sondern verbrannten – wie es andere Mitpilger ähnlich taten – ein paar alte Socken. Fußbekleidung ist schließlich Fußbekleidung!

Mit dem Bus ging es dann nach Santiago zurück. Jetzt trafen sie vom Datum her punktgenau in der Pilgerstadt und damit wie zunächst geplant ein: Am 3. September feierten sie hier dreifach: Beide jeweils ihren Geburtstag und gemeinsam ihren 36. Hochzeitstag. Bernhard Behnen wurde 60 und erfüllte sich nun auf den Tag genau seinen Lebenstraum.

Auf jeden Fall anmerken muss man noch, dass sich anschließend beide in Santiago in den Flieger nach Greven setzten und rechtzeitig in Mesum am Vorabend zur großen Fußwallfahrt nach Telgte eintrafen. Spontan beschlossen beide, sich zum krönenden Abschluss gleich noch am andern Tag zu Fuß der Wallfahrt nach Telgte anzuschließen. Damit erhöhte sich ihr Gesamtpilgerweg in der Zeit vom 27. Juli bis zum 9. September auf rund 1000 Kilometer.

Was bleibt da als Fazit? „Ich kann nur jedem empfehlen, den Jakobusweg zu gehen. Vielleicht gehe ich ihn noch einmal. Dann aber auf einer anderen Strecke, nicht auf der überlaufenen Pilger-Autobahn.“


Pfeile und Zeichen markierten den Jakobsweg


Maria Behnen hat gut lachen: Nur noch 100 km bis zum Ziel Santiago


Mitunter kennzeichneten auch viele Jakobsmuscheln den Pilgerweg


Maria und Bernhard auf ihrer Pilgerreise unterwegs


Maria Behnen vor einer der vielen kleinen Herbergern


Maria und Bernhard Behnen mit den Urkunden, Pilgerpässen, Routenbeschreibungen und Bildern nach ihrer Pilgerfahrt

Bilder: privat und Franz Greiwe
Text: Franz Greiwe