Das Ende eines uralten Gewerbestandortes

Wer einige Zeit nicht mehr ganz so aufmerksam durch Mesum ging, konnte jetzt am Hassenbrockweg eine neue, freie Fläche entdecken. Hier wurde unlängst ein altes Werksgebäude abgebrochen, das in den letzten Jahren für verschiedene Unternehmen als Verkaufsfläche und Halle für Lebens-, Bekleidungs- und Getränkemärkte und als Reinigungsannahmestelle diente. Hier wurden zeitweise Sportartikel, Spielwaren und Textilien angeboten.

Ursprünglich stand hier jedoch die Wiege des ältesten, noch bestehenden Mesumer Gewerbebetriebes. Hier liegen die Wurzeln des bekannten mittelständischen Unternehmens Upmann Verpackungsmaschinen, das sich vor 210 Jahren aus einer kleinen Dorfschmiede heraus entwickelte und das die Produktion 1972 zum neuen, großen Standort am Burgsteinfurter Damm auslagerte. Der Weg von einer kleinen Dorfschmiede am Hassenbrockweg zum heute längst weltweit operierenden Dienstleistungs-Maschinenbau-Unternehmens war kurvenreich und lang. Darum lohnt sich dazu ein kleiner Rückblick.

Der Ursprung geht auf die Schmiedefamilie Stiegemann zurück, so wird in der Firmengeschichte überliefert. 1797 übertrug der Kirchenvorstand dem Schmied Stiegemann einen Reparaturauftrag „für bley am Thurm“, der dafür eine Entlohung von 11 Reichstalern erhielt. Im Kirchenarchiv lassen sich dann für die folgenden Jahre und Jahrzehnte viele weitere ähnliche Aufträge finden. Familienforscher Walter Rauß ermittelte in seinen Forschungen für das Gründungsjahr den am 20. Februar 1763 in Mesum geborenen Joan Gerard Joseph Stiegemann als Firmengründer, aus dessen Ehe mit Anna Maria Gertrud Vogel sechs Kinder stammten.

Schmied Joseph – so sein Rufname – Stiegemann und später seine Söhne und Enkel arbeiteten aber nicht nur für die Kirche. Das belegen beispielhaft für das Jahr 1850 detailierte Aufzeichnungen zum Produktionsprogramm: Allein für Pastor Pelle wurden „Holzschuhe gebunden, eine Hacke gemacht, ein Grepetant (Teil einer Mistgabel) ingelegt, ein Band um Pot reparirt“. Ein anderer Kunde bekam „die Plog gemacht, einen Eimer beschlagen mit fein Eisen, ein Schubkarrenrad eingebunden, eine Grepe gemacht, ein Haken an die Plog, einen Schupriegel beschlagen, eine Schoffel (Schaufel) gemacht, die Schelle an die Türe eine Schraube und zwei Muttern“. Daneben reparierte er auch Kutschen und Wagen. Zu der angestammten bäuerlich-bürgerlichen Kundschaft kamen gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr auch Aufträge aus der aufblühenden Textilindustrie. 1907 gliederte man der Schmiede ein Ladengeschäft für Hausgeräte, Eisen- und Haushaltswaren an.

Die revolutionierendste Idee verwirklichte Schmied und Nachfahr Theodor Stiegemann 1910, als er bei der Firma Heinrich Lanz in Mannheim „eine stationäre patent. Heißdampf Hochdruck-Lokomobile mit Ventilsteuerung“ zum Preis von 7710, 75 Mark erwarb und mit Hilfe dieses glänzenden Ungetüms in seiner hinteren Werkstatt zum ersten Mal in der Mesumer Geschichte hier Strom erzeugte. Das brachte ihm damals manch Kopfschütteln der skeptischen Mesumer und die Bezeichnung vom „unwiesen Terro“ ein.

Aber jener und sein Bruder Josef ließen sich nicht beirren und bauten nach und nach das örtliche Stromnetz aus: Das E-Gemeindewerk Mesum war geboren. 1911 wurden das Krankenhaus, das neue Pastorat und die Kaplanei angeschlossen, weitere Privathäuser folgten. 1916/17 musste die Stromproduktion wegen Brennstoffmangel vorübergehend eingestellt werden. Als dann am 18. März 1922 ein Energielieferungsvertrag mit der VEW abgeschlossen wurde, war für Theodor „Terro“ Stiegemann das Kapitel Stromerzeugung abgeschlossen.

Da die Ehe von Theodor und Elisabeth Stiegemann kinderlos blieb und Bruder Josef unverheiratet war, kam 1924 Neffe Bernhard Upmann, der in Riesenbeck das Schlosserhandwerk erlernt hatte, nach Mesum. Auch er setzte innovativ auf die neue Energie Strom und legte zum Maschinebau noch die Meisterprüfung im Elektrohandwerk ab. Fortan fuhr das Unternehmen in seiner Angebotspalette zweigleisig. 1938 übernahm Bernhard Upmann als Erbe und Alleininhaber die Führung des Unternehmens, das nun seinen Namen bekam. Gleich 1947 nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft begann ein steiler Neuaufbau, vor allem im Bereich Maschinenbau, wo er viele Patente entwickelte, deren Zahl bis heute niemand so genau beziffern kann.

Bekannt wurde er zunächst für seine Betonmischer und seine elektrisch angetriebenen Waschmaschinen. Bei letzteren schaukelte ein kleiner Motor den hölzernen Bottich gleichmäßig hin und her, was bis dahin mühsam von Hand erfolgen musste. Der Durchbruch gelang 1966 mit dem Patent für eine „Maschine zum Füllen, Verschließen und Vereinzeln von Beuteln eines von einer Kunststoff-Folienbahn gebildeten Beutelbandes“. Dahinter steckte eine geniale Verpackungsmaschine, die Kartoffeln in handliche 2,5 Kilo-Beutel füllen und verpacken konnte. Maschinen gingen davon alsbald in alle Welt, auch einsetzbar für andere landwirtschaftliche Produkte.

Die zunehmende Nachfrage nach solchen Maschinen zwang zu einer Werksvergrößerung, die am historischen Standort am Hassenbrockweg nicht möglich war. Man dachte an ein neues Werk. Erste Erfahrungen hatte man dazu schon 1957 sammeln können, als das Ladengeschäft an die Alte Bahnhofstraße verlegt und vergrößert wurde, wo man ein Jahr vorher die alte „Wichterschole“ von 1872 hatte kaufen und abbrechen können.

1972 und damit rechtzeitig zum 175-jährigen Betriebsjubiläum nahm die Firma Upmann die erste neue Fertigungshalle am Burgsteinfurter Damm, der alsbald weitere folgen sollten, in Betrieb und schloss damit die alte Schmiede im Dorf, die allerdings im Laufe der 175 Jahre vielfache Veränderungen, Anbauten und Vergrößerungen erfahren hatte und nun neue Nutzungen erfuhr.

Als Bernhard Upmann am 26. Oktober 1975 starb, übernahm seine Frau Maria bis zu ihrem Tod 1980 die Geschäftsführung. Danach ging das Unternehmen an ihren Bruder Fritz Backenecker, der mit seinem Sohn Hans die Leitung übernahm. Beide setzten an neuer Produktionsstätte die Werkstradition fort und setzten auf Wachstum und Ausweitung des Produktionsprogrammes. Aus der kleinen Dorfschmiede wurde damit endgültig ein großes Maschinenbauunternehmen.


Die Aufnahme von 1912 zeigt die Brüder Theodor „Terro“ und Josef Stiegemann mit Familie und Angestellten vor ihrer Dorfschmiede


Das Bild aus den frühen 1970-er Jahren zeigt die Schmiedeanbauten mit dem alten Ladenlokal am historischen Standort Hassenbrockweg


Wo einst die alten Schmiedegebäude standen, blieb nach dem Abbruch nur ein weiter, leerer Platz


So warb Bernhard Upmann 1951 für seine neue Erfindung: die elektrisch betriebene Waschmaschine


Upmann-Waschmaschinen zu Anfang der 1950-er Jahre in einer Ausstellung

Text und Bilder/Repros: Franz Greiwe