“Nazi-Barbarei: Frauen und Kinder in der Zwangsarbeit“

Es war ein Vortrag, der die Zuhörer am Dienstagnachmittag im Pfarrheim betroffen und nachdenklich machte: Dr. Gisela Schwarze aus Münster referierte auf Einladung der „Geschichtswerkstatt Mesum“ (GWM) über „Frauen und Kinder in der Zwangsarbeit“ und damit über ein Thema aus der schlimmsten Nazi-Barbarei in den Terrorjahren 1942 bis 1945. Gekommen war sie mit Horst Wiechers, leitender Mitarbeiter im Verein „Gegen das Vergessen – Für Demokratie“ und im Förderverein der Gedenk- und Forschungsstätte „Villa ten Hompel“ aus Münster. Vor ihrem Referat stellte Günter Achterkamp in einer Bildpräsentation die GWM vor, die durch ihre Spurensuche die gesamte Thematik neu anstieß.

Ausgehend von persönlichen Erinnerungen aus ihrer Jugendzeit erläuterte Dr. Schwarze zunächst die historischen Hintergründe: Rassenideologie und Weltherrschaftsdenken des NS-Regimes in der Zeit von 1933 bis 1945. Das menschenverachtende System der Zwangsarbeit eskalierte während des 2. Weltkrieges in seinen schrecklichsten Ausmaßen. 4,5 Millionen Arbeitssklaven seien allein aus Russland nach Deutschland deportiert worden, berichtete Dr. Schwarze. Darunter seien viele Kinder und Jugendliche gewesen, um den Gegner „biologisch zu schwächen“. Konkret auf Mesum führte sie aus: Junge Mädchen im Alter von 15 bis 18 Jahren wurden aus der südrussischen Großstadt Taganrog an der Küste des Asowschen Meeres zwangsverschleppt und mussten unter unmenschlichen Bedingungen in der Mesumer Textilindustrie die männlichen Arbeitskräfte ersetzen, die längst zur Front abkommandiert worden waren. Noch heute unterhalte sie Kontakte zu einigen von diesen Zwangsarbeiterinnen.

Wie menschenverachtend die Arbeitsbedingungen hier waren, zitierte Dr. Schwarze aus verschiedenen Briefen ehemaliger Zwangsarbeiterin im früheren Werk Kettelhack. So schreib eine: „Wir wohnten zu 60 Mädchen in einem Zimmer (dem ehemaligen Fabrikspeiseraum). In der Mitte stand ein langer Tisch, wo wir gegessen haben. Die Wände entlang zogen sich zweistöckige Pritschen. Unser Leiter war ein brutaler SS-Mann, ein ehemaliger Soldat, der nur ein Auge hatte. Er ging ständig mit einem Schlagstock und einem Hund, den er oft auf uns gehetzt hat. Auch der Schlagstock tanzte öfters auf unseren Rücken.“

Ausführlich ging die Referentin auf das schwere Schicksal von schwangeren Zwangsarbeiterinnen ein. Nach der Geburt, wozu es häufig ins zentrale Lager nach Waltrop ging, sei zwischen „gutrassischen“ und „schlechtrassischen“ Kindern unterschieden worden. Erstere hatten nachweislich einen arischen Vater und wurden zwangsadoptiert. Letztere galten als unerwünscht und kamen mit ihren völlig unterernährten, halb verhungerten Müttern zurück in ein Arbeitslager. Dort verstarben die meisten Kinder an „Lebensschwäche und Ernährungsstörungen“, wie verharmlosend als Todesursache in der Amtssprache der damaligen Zeit festgehalten wurde. In Wahrheit ließ man die Kinder vorsätzlich verhungern.

In Mesum sind 20 solcher Sterbefälle dokumentiert. 19 namentliche bekannte Kinder starben hier von Dezember 1943 bis Januar 1945 im Alter zwischen einem Tag und einem Jahr, drei Monate. Hinzu kam eine nicht näher beschriebene Totgeburt. Beerdigt wurden alle auf dem Friedhof in Mesum. Da diese Grabanlage vermutlich in der Zeit zwischen 1950 und 1960 widerrechtlich entfernt wurde, wird sie in diesen Tagen wieder hergestellt.

In der lebhaften Diskussion ging es zum einen um Erfahrungen älterer Zuhörer, die sich noch an die Zeit der Zwangsarbeit in Mesum erinnern konnten. In Demut müsse man dabei anerkennen, dass es hier Schuld gegeben habe. „Das macht uns sehr betroffen!“, betonte ein Diskussteilnehmer rückblickend. Gewarnt wurde zum anderen vor zu schneller Verallgemeinerung: „Jeder einzelne Mensch muss entscheiden, ob er menschlich bleiben will oder sich dem staatlich verordneten Verhalten und damit der Barbarei anschließen will.“ Dass eine Reihe Mesumer damals „menschlich“ blieben und handelten, dafür hatte Dr. Schwarze einige Beispiele, die dokumentiert seien: Nachbarn und Mitarbeiter der Textilfabriken halfen, nahmen Kontakte auf, steckten den Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen heimlich Lebensmittel zu, Dr. Süß sorgte für medizinische Betreuung. Dabei hätten die Helfer oft ihre eigene Freiheit und das Leben eingesetzt.

Betont wurde auch die Verantwortung jeder Generation vor der Geschichte für die Zukunft. Darum sei ständig vor dem Vergessen zu erinnern und zu mahnen, damit sich solche Terrorregime nicht wiederholen. Es gelte, die Menschen heute, vor allem die jungen, für dieses Unrecht zu sensibilisieren. Darum wird die GWM im nächsten Jahr eine Dokumentation zum Thema „Zwangsarbeit und Kinder der Zwangsarbeiterinnen in Mesum“ erstellen, die in die Schulen gehen soll. Nicht zuletzt dafür sagte Stadtteilbeiratsvorsitzender Rudolf Kölling-Gröning der GWM für ihre wichtige Arbeit zur Gedenk- und Erinnerungskultur in Mesum Dank.


Referentin Dr. Gisela Schwarze mit Horst Wiechers, Rudolf Wiechers, Rudolf Kölling-Gröning und Ratsherr Josef Wilp


Günter Achterkamp stellte im Bild die Arbeit der GWM vor; in Hintergrund die Referentin Dr. Gisela Schwarze

Text und Bilder: Franz Greiwe